Der Ton macht die Musik

Ich erinnere mich an einige, wenige Situationen im vergangenen Jahr, in denen ich wütend wurde. Wütend auf das Personal.
Hilflos neben meinem schlafenden, ums Leben kämpfenden Kind sitzend, schwenke ich den Katheterschlauch und die Schläuche der Drainagen.
Es ist Tag X von wer weiß wie Vielen. Eine Schwester rauscht herein und herrscht mich an, ich solle das lassen. Das sei doch keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Ich solle mein Kind mal in Ruhe lassen.
Mir bleibt die Luft weg, ich bin sprachlos. Lasse wie ein verschrecktes Kaninchen den Schlauch los.
Irgendwann ist sie weg. Ich bemerke, wie ich den Schlauch heimlich schwenke. Bin ich bekloppt? Was mache ich da? Das Einzige, das ich gerade machen kann, um überhaupt das Gefühl zu haben, dass ich meinem Kind helfe, will sie mir wegnehmen? Lasse ich mir wegnehmen? Nein! Nein! Ich spüre Wut in mir. Und Unsicherheit. Nein, das lasse ich nicht zu. Beim nächsten Mal sage ich ihr, dass die anderen Schwestern mir gesagt haben, es sei eine Hilfe und ich solle die Schläuche schwenken. Damit habe ich es mir einfach gemacht, erstmal die Anderen vorschieben.
Die Antwort fällt kurz und knapp aus:“Irgendwann ist aber auch mal gut!“ Was? Hat sie das wirklich gesagt?
Es reicht. Ich nehme meinen Mut zusammen und sage:“Ich glaube, wir müssen mal was klären. Ich verstehe nicht, weshalb sie in einem derartigen Ton mit mir sprechen. Ich werde nicht damit aufhören. Es gibt mir ein gutes Gefühl und ich denke, es schadet meinem Kind auch nicht, oder?“
Sie zieht eine Augenbraue hoch und geht. Es folgen noch ein, zwei Situationen die ich nur schwer aushalte. Einmal rammt sie meinem Kind das Fieberthermometer regelrecht in den Hintern, dass mir Meiner beim zugucken schon schmerzt. Ich zucke zusammen. Mein Kind, noch immer sediert, verzieht das Gesicht. „Ah, ihr Kind lacht“, sagt die Schwester. „Mein Kind lacht nicht“, sage ich. „Mein Kind sieht anders aus wenn es lacht.“-„Eine Reaktion im Gesicht zu sehen, ist gut.“ Die Schwester geht raus und ich zum nächsten Vorgesetzten. Frage, ob ich darauf bestehen kann, dass diese Schwester mein Kind nicht mehr versorgt. Das geht nicht. Dienstplan. Personalschlüssel.
Ich sage, dass ich kein gutes Gefühl habe, wenn diese Schwester mein Kind versorgt. Das Personal müsse auch dazu da sein, mir ein gutes Gefühl zu geben. Ich muss dem Personal vertrauen können, ich muss ein gutes Gefühl haben.
Es ist scheiße genug, abhängig und hilflos zu sein und darauf vertrauen zu müssen, dass hier Alle wissen, was sie tun. Die Schwester begegnet mir von da an verständnisvoller. Wir schaffen einen wertschätzenden Umgang miteinander.

In einer anderen Situation, Schluckecho, will mich eine andere Schwester rausschicken. Ich habe schon länger das Gefühl, dass sie mich nicht gerne dabei hat.
Ich vermute, dass ich ihr zu viele Fragen stelle und Alles zu genau wissen will. Das hält auf. Warum passieren Abläufe jetzt so und bei anderen Schwestern anders? Öfter sagte sie schon zu meinem schlafenden Kind:
„Soooo, die Mama schicken wir jetzt mal zum Kaffee trinken raus. Und danach kommt sie wieder und du bist frisch.“ Ich antwortete jedes Mal meinem schlafenden Kind:“Die Mama hat gar keinen Durst auf Kaffee. Die Mama bleibt hier bei dir.“
Bescheuert und bizarr.
Zurück zum Schluckecho.
Die Schwester will mich rausschicken. Ich frage den behandelnden Arzt, ob ich bleiben kann. Ich kann. Wenn ich es mir zutraue. Es könne unschön aussehen. Ich bleibe. Ich schaue mir Alles an, ganz genau. Ich halte das aus.
Nichts ist schlimmer, als draußen zu warten. In dem kleinen Vorraum, mit der orangenen Couch. Kurz. „Gleich können sie wieder rein.“ Ein kurzes Gleich dauert gern mal 30-40 Minuten, auch bis zu 1,5 Stunden. Warten. Das ist schlimm. Nicht zu wissen, was drinnen passiert. Auf der Intensivstation zu sein ist schlimm.

Bei einer Ultraschalluntersuchung stehen auf der einen Seite drei Ärzte, ich auf der anderen Seite. Mein Kind liegt zwischen uns. Ewig streicht der Ultraschallkopf über das Herz meines Kindes. Die Ärzte unterhalten sich. Fachchinesisch. Ich verstehe kein Wort. Irgendwann sind sie fertig. Ich frage, ob es die Ergebnisse jetzt auch in Elterndeutsch gäbe.
Der Arzt sagt, das solle mir gleich der andere Arzt erklären. Für schlechte Nachrichten sei er nicht zuständig.
Er geht. Mir wird kurz schwarz vor den Augen.
Sollte das witzig sein?
Ich schaue den anderen Arzt fragend an. Der hüstelt verlegen, stottert irgendetwas, erklärt mir, dass die Herzfunktion noch schlecht ist und worauf wir achten müssen.
Ich treffe den Arzt, der den Ultraschall gemacht hat am nächsten Tag. Ich sage, dass wenn er wohl gute Nachrichten bringen würde, da er für die Schlechten ja nicht zuständig sei. Er lächelt betreten. Nickt. Hat verstanden. Das Thema ist durch. Unsere Kommunikation gelingt von da an.

Eltern trauen sich oft nicht, zu fragen oder Kritik zu äußern.
Das habe ich von einigen Eltern im Elternhaus mitbekommen. Sie haben auch Wut im Bauch und haben Angst.
Fühlen sich ausgeliefert. Die Befürchtung, dass das eigene Kind anschließend schlechter behandelt werden könnte steckt dahinter.
So ein Blödsinn.
Und für den absurden Fall, dass doch, sollte ich mitbekommen, dass jemand mein Kind schlecht oder schlechter behandelt, weil er oder sie nicht mit mir zurecht kommt, laufe ich Amok. Nein, natürlich nicht.
Aber ich würde es ansprechen bis hin zum obersten Chef.

Die Schwestern bzw. das Pflegepersonal in diesem Krankenhaus leisten wahnsinnig viel. Rund um die Uhr. 
Zum Glück sind wir Menschen unterschiedlich; Personal und Eltern. Mit dem Einen oder dem Anderen kommt man besser oder schlechter zurecht. Das ist normal und überall gleich.
Ich habe nur diese wenigen Situationen erlebt, in denen ich mich beschweren wollte bzw. in denen ich in Konfrontation gegangen bin.
Ich schreibe darüber ausführlich, weil ich es wichtig finde, in den Dialog zu gehen. Eine sehr nette Mitarbeiterin sagte in diesem Zusammenhang zu mir:“Kritik immer äußern, konstruktiv und ruhig. Ohne Feedback können wir nicht besser werden.“

Insgesamt erlebe ich hier Personal, das ständig um das Wohl der Kinder und Eltern bemüht ist.
Morgens tut es mir gut, in die freundlichen Gesichter zu schauen. Mitfühlend, engagiert und ehrlich. Menschlich geht es zu. Wir lachen viel. Wir gehören „zum Inventar“, zur kleinen Familie. Wir gehören dazu.
Es hört sich schrecklich an, ist es aber nicht. Und wenn ich Fragen habe, frage ich. Ich habe damit nur gute Erfahrungen gemacht.

Ich habe ein gutes Gefühl. Wir sind hier gut und sicher aufgehoben. Und so lange wie wir schon hier sind, könnte ich mich inzwischen tatsächlich fast als ABM einstellen lassen.