Eins von 100

Ein Jahr gelistet.

Jedes 100ste Kind kommt mit einem Herzfehler zur Welt.
Vor unserer Zeit hier im Krankenhaus habe ich mir darüber nie wirklich Gedanken gemacht.
Erst hier sehe ich mit meinen eigenen Augen, wie Viele es sind.
Natürlich befinde ich mich in einem Herzzentrum und es ist demnach nicht ungewöhnlich. Hier kommen alle zusammen.
Und doch war ich bei unserem ersten Aufenthalt entsetzt.
Viele Säuglinge, die ihre ersten Wochen und Monate im Krankenhaus verleben und kämpfen müssen.
Welche Wunder vollbringen Herzchirurgen an winzig kleinen Herzchen.
Viele dieser Säuglinge und Kinder sind stark. Zum Glück.
Andere haben nicht genug Kraft, oder es fehlt ein Stück vom Glück oder ganz anders….

Ich denke, wir haben unser Kind sieben Jahre, sieben großartige Jahre, schon bei uns.
Wir haben schon unheimlich viel erlebt, haben Geschichten und Erinnerungen geschrieben, Pläne geschmiedet, Geburtstage gefeiert, Weihnachten auf das Christkind gewartet, den ersten Kindergartentag, die Einschulung voller Stolz erlebt, gemeinsame Urlaube, uns über die Schnuller- und Zahnfee gefreut.
Tausende Küsse und Umarmungen, die tollsten Liebesschwüre und Heiratsanträge bekommen. Dutzende Schmolltage und Zickenkriege gehörten auch dazu.
Das ganz normale Leben eben.
Die ersten Meilensteine.
Ganz „normal“.
In unserem alten Zuhause sind wir „Normale“ und doch Exoten.
Die mit dem Herzkind, das irgendwann einen Reißverschluss bekam und damit noch exotischer wurde.
Eins von 100.
Eines ist meins.
Hier sind wir eine Familie unter allen Anderen.
Gar nicht besonders.
Hier sind alle besonders.
Manchmal frage ich mich, was wohl einfacher zu handlen sein mag?
Wenn das eigene Kind noch ein Baby ist oder schon älter oder gar pubertär?
Ich spreche mit unterschiedlichen Menschen.
Eine Antwort auf meine Frage habe ich nicht. Es ist für Alle gleich scheiße. Jedes Alter bringt eine andere Herausforderung mit sich.
Etwas „leichter“ erscheint es mir lediglich, wenn überhaupt, für Familien, die nur ein Kind haben und sich ausschließlich darauf konzentrieren können.
Es ist auch erschreckend, hautnah zu sehen, wie viele Kinder auf ein Herz warten.
Im Krankenhaus oder im besten Falle zu Hause.
Im besten Fall.
Was ist der beste Fall?
Im besten Fall sollte kein Kind warten müssen und in einem noch besseren Fall sollte es keine von diesen scheiß Erkrankungen geben.
Wir sind hier.
Mit einem Kind von 100.
Wollen noch mehr Meilensteine erreichen, Geschichten schreiben und Erinnerungen spinnen.
Heute ist mein Kind ein Jahr gelistet.
Ein Jahr ist die durchschnittliche Wartezeit.
Der Wahnsinn wird hier nicht aufhören, aber aus uns vielleicht irgendwann wieder eine einfache, „normale“, exotische Familie machen, die wieder vereint ist.
Und die noch viele weitere, wunderbare Jahre zusammen ist.